Alex war einsam und unglücklich in Locarno. Die Mitschüler mobbten ihn, der sich kein bisschen für Fussball interessierte. Seine Verunsicherung tarnte er mit einer Distanziertheit, die er bis heute nicht ganz ablegen kann. Sie wird ihm zuweilen als Arroganz ausgelegt.
Der feingliedrige, sensible Bub hatte andere Träume als seine robusten Klassenkameraden. Er liebte den melodramatischen Film Torch Song Trilogy («das war meine Bibel») und das turbulente La Cage aus Folles, sehnte sich nach Kostümen und Melodien, Tanz, Glitter und Glamour, Musicals und dem Broadway. «Cats war das erste Musical, das ich in meinem Leben hörte. Ich tröstete mich mit diesen emotionalen Melodien und wusste: das ist meine Welt. Da will ich mal mitspielen».
Jetzt ist es soweit: Alex Frei tritt mit 30 Jahren als stolzer Kater Alonzo in Cats auf. In Zürich. Zum ersten Mal betritt er eine Schweizer Bühne als Profi. Doch bis dahin war es ein langer Weg.
Beweglich: Alex Frei als Kater Alonzo.
Immer unterwegs und nirgends daheim
Sobald er konnte, brach Alex aus der «beengenden Kapsel» Tessin aus, wo er für sich keine Zukunft sah. Als 16-Jähriger liess er sich in München zum Tänzer ausbilden. Es folgten Stationen in aller Welt: Theaterschool in Asterdam, The Ailey School in New York, Engagements in Montreal, Paris, London. Er absolvierte Ausbildungen als Sänger und Schauspieler, es folgten unzählige Auftritte und sogar eine CD mit Liedern aus Brechts Dreigroschenoper nahm er auf. Ein Leben auf Achse. Das Alex Frei auch genoss: «Es war die Zeit, in der ich mich austobte und nichts ausliess.» In seiner neuen Welt war Alex kein Aussenseiter mehr.
Die Reiserei hinterliess Spuren. Alex Frei spricht Italienisch, Deutsch, Französisch, Englisch und Holländisch. Aber kein Schweizerdeutsch. Sein Vater ist zwar Solothurner, aber er redete mit seinem Filius nie Dialekt. Schliesslich war man im Tessin.
«Was willst du essen im Ausland?»
Das einzige, was Alex aus dem Tessin mitnahm, ist seine Vorliebe für Tessiner Spezialitäten und natürlich für die Cucina seiner Mamma: Pasta, Gnocchi, Risotto mit grünem Spargel, Scaloppine und viel Pane. Seine Mutter ist Neapolitanerin und entspricht ganz dem Cliché der besorgten Mamma: «Als ich als Teenager in die Welt hinauszog, war ihre grosse Sorge, dass ich im Ausland zu wenig Geld hätte, um gut zu essen», erzählt Alex und seine tiefblauen Augen funkeln noch ein bisschen mehr als sonst. Doch er verhungerte nicht, im Gegenteil: «Ich esse gern und viel. Zum Glück habe ich einen anstrengenden Beruf und verbrenne viel bei der Arbeit». Dennoch, sagt Alex selbstkritisch, hinterlasse seine Leidenschaft Spuren. Er habe einen zu wenig straffen Bauch, findet er, der bei 178 Zentimeter Grösse 73 Kilo wiegt: «Das enge Lycra-Katzenkostüm verzeiht gar nichts».
Die wilden Zeiten hat er hinter sich. Auch das Clubbing braucht er nicht mehr. Wobei das ja nur logisch ist: «Wenn ich dauernd tanze – während der Proben für Cats bis zu acht Stunden täglich – muss ich mich im Ausgang nicht auch noch austoben.»
Strahlende Rückkehr in die Schweiz
In Zürich schloss sich ein Kreis: Alex trat an der Cats-Premiere auf, in dem Musical, dessen melancholischer Song Memories ihm als Bub Trost spendete in durchweinten Nächten. Er zeigte, was er in der grossen, weiten Welt gelernt hatte und tanzte voll konzentriert. Schliesslich war seine Familie dabei. Seine Mutter strahlte vor Stolz. Und vermutlich hat sie im Dunkel des Cats-Zeltes die eine oder andere Träne vergossen. Aus Stolz über ihren schönen Ragazzo.
Andrew Lloyd Webbers Cats läuft in Zürich bis am 16. Oktober.
Bild Neil Gillespie
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