„Ich hasse Pizza!“ Entsetzt starre ich auf den Teller, den mir meine grosse Schwester vor die Nase stellt.
Ungerührt säbelt Kiki an ihrer Pizza herum. Pizza Speciale. Mit extra Peperoni. Gestern Mittag hatten wir Pizza Margherita. Und Vanilleeis. Das Eis war schon fast geschmolzen, als Kiki es verteilte. Eigentlich war es nur noch Vanilleeismatsch. Und so schmeckte es auch. Gestern Abend gab es dann für alle Pizza Salami. Zum Frühstück assen wir Pizza Funghi. Papa hat nur traurig auf den Teller gekuckt, seinen Kaffee getrunken, und dann ist er ins Büro gedüst.
Heute gibt es schon wieder Pizza. Und das alles nur, weil Mama im Krankenhaus liegt. „Kiki ist schon gross, Paul. Sie passt auf, dass ihr nicht verhungert“, hat Mama gesagt und mir durch die Haare gewuschelt. Davon, dass Kiki jeden Tag Pizza machen soll, hat sie nichts gesagt, da bin ich mir sicher.
In den ersten Tagen war auch noch alles normal. Zum Frühstück gab es Müsli. Mittags schmierte Kiki uns Brote. Abends machte Papa dann Pfannkuchen, die wir zusammen vor dem Fernseher assen.
Und dann fing es an zu schneien. Am nächsten Morgen war die Welt weiss. Wunderschön sah das aus. In jedem anderen Jahr hätte ich mich riesig über den Schnee gefreut. In jedem anderen Jahr hätten wir nämlich mit Mama zusammen einen Schneemann gebaut. Und noch einen und noch einen. Mama baut immer Schneemannfamilien. Damit sie nicht so einsam sind.
Aber in diesem Jahr wird es keine Schneefamilien geben. Weil Mama im Krankenhaus liegt. Und alleine macht das alles keinen Spass. Die ganze Adventszeit ist doof ohne Mama. Kein Plätzchenbacken, niemand, der mit uns Weihnachtslieder singt oder Sterne bastelt. Niemand, der mit uns Schneemänner baut.
Und jetzt dieser Stress mit der Pizza. Kiki kam nach der Schule mit einem ganzen Arm voller Kartons nach Hause und stopfte sie in den Kühlschrank.
„Warum essen wir dauernd Pizza?“ fragte ich. „Und woher hast du die überhaupt?“ „Komm mit, ich zeig’s dir.“ Kiki springt auf und schnappt sich ihre Jacke. „Nimm Handschuhe mit.“.
Dann flitzt sie aus der Tür. Sie läuft die Strasse runter, schlittert ein Stück auf dem Schnee und bremst so plötzlich vor dem Kiosk an der Ecke, dass ich fast in sie reinrenne. „Hallo Kiki, da bist du ja wieder.“ Frau Giesewein, die Kioskbetreiberin, lehnt sich aus dem Fenster.
Kiki zerrt an meinem Jackenärmel. „Los, du musst mir helfen.“. Ich lasse mich auf den Platz hinter dem Kiosk ziehen.
„Was machen wir?“ Neugierig schaue ich mich um. „Und was hat das mit der Pizza zu tun?“ „Wirst du gleich sehen. Fang lieber an, es wird schon bald dunkel.“ Kiki hockt sich in den Schnee. Da ich keine Ahnung habe, womit ich anfangen soll, hocke ich mich neben sie und schaue ihr zu. Verblüfft reisse ich die Augen auf. Kiki baut einen Schneemann. Einen winzig kleinen. Einen Schneezwerg. Insgesamt ist er höchstens so gross wie eine Kaffeetasse. „Nun mach schon!“
Lustlos fange ich an, einen, Schneeball zu formen. Kiki baut schon den zweiten Schneezwerg. „Und jetzt komm mit.“ Behutsam nimmt sie ihre beiden Schneezwerge und steht auf. Mein Mini-Schneemann sieht mehr aus wie eine Schneeratte, aber das ist mir egal. Ich nehme ihn vorsichtig in beide Hände und laufe hinter Kiki her. Sie marschiert zum Hintereingang des Kiosks und tritt gegen die Tür. Erschrocken bleibe ich stehen. Was ist denn in Kiki gefahren? Ich höre Frau Giesewein rufen, dann wird die Tür geöffnet. Kiki stapft in den Verkaufsraum. „Mach schon, Paul, komm rein.“
Sie öffnet eine grosse weisse Schranktür und ich sage nur: „Oh!“ Der Schrank ist kein normaler Schrank, sondern ein Tiefkühlschrank. So einer, in dem man eigentlich Tiefkühlpizza aufhebt. Oder eben Vanilleeis. Aber jetzt sind in dem Schrank nur lauter Schneemänner zu sehen. Schneezwerge, genauer gesagt. Die Regale sind voll von ihnen. Es müssen an die hundert sein. Oder noch mehr. Behutsam stellt Kiki ihre neuen Schneezwerge zu den anderen ins Regal. Dann tritt sie zur Seite und macht mir Platz. „Was soll das werden?“, flüstere ich ehrfürchtig und stelle meine Schneeratte dazu.
„Das wird unser Weihnachtsgeschenk für Mama“ erklärt Kiki und strahlt. „An Weihnachten ist der ganze Schnee bestimmt schon geschmolzen. Und wen Mama dann nach Hause kommt, hat sie keinen einzigen Schneemann gesehen. Aber hier“, Kiki breitet ihre Arme aus, „warten sie alle auf Mama. Eine ganze grosse Schneemannfamilie. Wir bauen ihr für jeden Tag im neuen Jahr einen.“
„Für jeden Tag? Aber das sind 365!“
„Na und?“, gibt Kiki ungerührt zurück. „87 habe ich schon. Und jetzt kannst du mir ja helfen. Da unten“, sie bückt sich und zerrt etwas aus der Ecke, das sie mir in die Arme drückt. „ist noch genug Platz.“
Ich starre auf die Schachteln in meinen Arm. Pizza Hawaii. Mit Ananas. Eigentlich mag ich Ananas ganz gerne, überlege ich. Und die Adventszeit mag ich auch. Und Weihnachten sowieso.
Quelle: Wilke, J. Pizza im Schnee (Kapitel 11). 24 Weihnachtliche Geschichten. Ein Adventskalenderbuch. 2013. Bastei Lübbe AG, Köln. Ebner & Spiegel, Ulm.
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